Da der mittelalterliche Bürger verpflichtet war, im Verteidigungsfalle seiner Stadt zur Hilfe zu eilen, gehört auch ein militärischer Aspekt zur Darstellung des späten Mittelalters. Der Spießbürger ist gewissermaßen derjenige, der nach dem sonntäglichen Kirchgang noch mit dem Spieß zur Stadtverteidigung exerziert. In den Stadtordnungen wurde entsprechend ein Mindestmaß an Ausrüstung festgelegt. Bezüglich der Schutzausrüstung umfasst das zunächst Helm, Brustpanzerung und Panzerhandschuhe. Der vorliegende Harnisch ist noch um Armzeug und diverse Ringpanzerteile erweitert. Begutachtet man die Bildquellen, stellt man fest, das häufig auf das Beinzeug verzichtet wurde. Die Gründe dafür liegen wohl einerseits darin, dass man innerhalb einer Formation am ehesten darauf verzichten kann, da die Beine vom Vordermann abgeschirmt werden. Weiterhin ist ein Angriff auf die Beine für den Attackierenden aus biomechanischer Sicht ungünstig, da die Strecke zu den Beinen des Gegners weiter ist, als der Weg, den der Gegner dann zum eigenen Kopf überwinden muss - man gäbe sich dann hier am Kopf die Blöße.

 

Der hier gezeigte Harnisch ist ein als Replik an spätmittelalterliche Exemplare süddeutscher Provenienz angelehnt. Vornehmlich auf den Kampf zu Fuß ausgelegt besteht dieses Ensemble aus Krebs (Brust- und Rückenplatte), einfachem knechtischem Armzeug (dreiteilig und verbunden), Plattenhandschuhen (Hentzen = Fingerplatte statt einzeln ausgeformter Finger) und Helm (Schaller). Der Hals wird durch einen Ringpanzerkragen und der Schrittbereich durch Ringpanzershorts geschützt.

Die einzelnen Platten der Rüstung sind derart geformt, dass Hiebe, Stiche und Projektile abgleiten, dabei aber nicht in angrenzende ungeschützte Bereiche geleitet werden. Dafür sorgen Falze und Sicken, die gleichzeitig die Struktur verstärken. Die Geschübe sind ebenso strategisch angeordnet, um ein Eindringen zwischen den Platten zu verhindern (auf- und abschlächtig geschoben). Verbunden werden die einzelnen Platten durch innen angebrachte vernietete Lederriemen oder sind direkt über einzelne Niete in Langlöchern gekoppelt. So entsteht ein Höchstmaß an Flexibilität bei gleichzeitig bestmöglichem Schutz.

Der Helm ist innen mit einer Leinenspindel mit Rohbaumwollfüllung ausgekleidet, die Entkopplung des Kopfes von der Helmkalotte schafft hier gewissermaßen eine Knautschzone. Das selbe Prinzip verfolgt die Brustplatte, mit ihrem ausgestellten Gänsebauch.

 

Die Ringpanzerteile bestehen hier aus Ringen im Durchmesser 8mm, die jeweils mit einer Niete verschlossen sind, was sich durch die hohe Anpassungsfähigkeit dieses Geflechts besonders für Bereiche eignet, die nur sehr aufwendig mit Platten geschützt werden können.

 

Die Stärken der Panzerplatten betragen zwischen 1 und 2mm, originale Stücke hoher Qualität weisen auch geringere Stärken auf, bei denen durch Härtung die selbe Stabilität erreicht wurde. Im vorliegenden Fall wiegt das komplette Ensemble unter 20kg, bei einer Körpergröße von 1,94m. Durch die Flexibilität und das vertretbare Gewicht ermöglicht ein derartiger Harnisch eine hohe Mobilität.